1 Erste Phase - Diagnose2 Zweite Phase - TherapieFamilienperspektive

Die Chemo kommt, die Haare gehen

Meine Haare gehören zu mir.

Man könnte jetzt denken, boah, ist die eitel! Hat die denn sonst keine Probleme? Haare wachsen doch wieder nach. Warum macht die so ein Bohei um ihre Haare?

Grundsätzlich richtig. Von außen betrachtet, lässt es sich allerdings leicht reden. Wahrscheinlich hätte ich einer lieben Freundin in einer vergleichbaren Situation ebenfalls gesagt:

„Süße, Haare wachsen doch wieder. Hauptsache, du wirst erst mal wieder gesund“, aber wenn es dich selbst, so ganz konkret betrifft, nicht mehr Theorie ist, sondern harte Realität, fühlt sich das ganz anders an. Denn wie sagte jemand mal ganz richtig: Haare sind das einzige Kleid, das man anhat, auch wenn man nackt ist. 

Glänzende Haare zeigen, du bist gesund, dir geht es gut. Lange Haare haben etwas Sinnliches, Erotisches, wenn sie sich sanft auf nackte Frauenrücken schmiegen oder flirtend, kokett nach hinten geworfen werden, um den Auserwählten zu bezirzen. Lange Haare sind dazu noch oft über Jahre mühsam gezüchtet, gehegt und gepflegt worden. Sie sind wichtiger Teil deines Wesens, deines Ausdrucks, deiner Persönlichkeit.

Schmerzhafte Erkenntnis

Ich hatte heftige Angst vor dem Moment, nachdem klar wurde, dass der Haarverlust auch mich treffen würde. Denn natürlich hatte ich meinem Arzt ziemlich schnell diese bange Frage gestellt: Werden meine Haare ausfallen? Alle? Oder nur einige? Bleiben Löcher?

Der Arzt lächelte milde und betonte, dass das alle sofort fragen. Wie ein Reflex. Und das unterstreicht meine bereits oben formulierte These: Eine solche Nachricht trifft jede, aber wirklich jede Frau gleichermaßen hart. Manche versuchen es tapfer wegzulächeln. Dennoch trifft es dich ins Mark.

Machst du deine Glatze sichtbar, wissen es alle, du fühlst dich schutzlos den Blicken der anderen ausgeliefert. Denn Glatzen bei Frauen haben sich – soweit mir bekannt ist – bisher nicht als modischer Trend durchgesetzt. Während Männerglatzen durchaus salonfähig und im Gesellschafsbild angekommen sind, sogar für Männlichkeit stehen, trifft das nicht unbedingt auf Frauenglatzen zu. Es sei denn man ist Künstlerin und das war ich nun leider nicht. Ich und kurze Haare – undenkbar. Glatze: ausgeschlossen! Nella gibt es nur mit langen Haaren.

Eine neue Welt

Aber mit einer Chemotherapie bleibt bis auf wenige Ausnahmen der Verlust der Haare eben nicht aus. „Da musst ´e jetzt durch“, dachte ich. Nach der ersten „Chemo-Sitzung“ hatte ich gleich einen Termin im Perückenfachhandel meines Vertrauens vereinbart. Meine Mutter und meine Freundin Kati zur Verstärkung im Schlepptau. Die Zweithaar-Fachverkäuferin hatte mir vorher schon gesagt: „Kommen Sie, wenn die Haare noch dran sind, dann können wir besser sehen, wie Sie mit Haaren aussehen, was ihr Typ ist.“

„Prosecco!“

Okay, da stand ich also. Über all waren Kisten übereinandergestapelt, standen Schaufensterköpfe mit verschiedenen Haarkleidvarianten. Es war im Grunde wie beim Friseur nur intimer – anders. Jeder Kunde hat sein eigenes Séparée, seine eigene Kabine, schön mit einem schweren roten Samtvorhang abgetrennt und mit einem „Getränk des Hauses“ im Programm. „Ein Prosecco für Sie und Ihre Freundinnen?“, fragte meine persönliche Beraterin. Meine Mutter wurde gleich zehn Zentimeter größer.

Das Ganze war irgendwie surreal. Ich war reichlich nervös. Hinter meinem schweren Vorhang hörte ich wie eine Frau juchzte und rief: „Ach Mami, das ist so wunderbar, dass du mir die neue Perücke spendierst. Dann muss ich nicht immer zum Friseur, und du weißt ja, wie ich das hasse!“ What? Spinnt die? Es gibt doch keinen besseren Kurzurlaub, als zum Friseur zu gehen. Und wie macht die das, wenn beim Sex die Perücke verrutscht und ihre „echte Frisur“ zum Vorschein kommt. Bizarr. Diese Zweithaarwelt war mir unbehaglich.

Das hat nicht jeder

„Ich habe Ihnen hier mal ein Modell mitgebracht, Nella. Schauen wir doch mal, wie das bei Ihnen so aussieht.“ Dabei drehte Sie eine Perücke wie einen Wischmopp über ihrer Hand und präsentierte mir ein gestuftes Langhaarmodell in meiner „Naturfarbe“. Denn natürlich färbte ich schon lange. Wie meine wirkliche Naturfarbe aussah, keine Ahnung.

Also los, Haare zusammenknödeln, Kopf runter und wie ´ne Mütze aufziehen, bekam ich die Regieanweisung. Die Lady turnte vor mir rum, kämmte mein ungewohntes Haarkleid mit einer komischen Stecknadelbürste und zuppelte und zog die Perücke in die richtige Position. Schließlich war sie zufrieden und gab mit diesem „Das-hat-nicht-jeder Blick“ den visuellen Weg frei.

Vorhang auf

Der entscheidende Moment: Ich schaute in den Spiegel und – musste erleichtert lachen. Okay, nicht schlecht. Vor meiner Garderobe riefen meine Mutter und Kati: „Wir wollen das auch sehen!“ Stuhl gedreht und Vorhang auf – und beide fingen wie auf Knopfdruck an zu weinen. Ich dachte: Oh Gott, so blöd isses doch gar nicht. Dann schniefte meine Freundin: „Du siehst so toll aus, die nimmst du.“ Ich war etwas verwirrt. Das ging ja schnell. Lieber noch ein anderes Modell. „Mal in eine ganz andere Richtung?“ flötete fragend die Haar-Lady.

Alles kann, nichts muss

Und das war der Startschuss. Nie war ein Typwechsel einfacher, schneller. Wir kamen aus dem Lachen nicht mehr raus. Roter Bob: Yeah, cool. Die Frau kenn ich nicht. Irre! Next: Schwarzer „frecher“ Kurzhaarschnitt: voll spießig – geht gar nicht, prust. Das ist ja mehr so ein Oma-Schnitt, da fehlt mir so ein bisschen das Jetzt, das Frische – würde Guido (Maria Kretschmer, „Shopping Queen“) sagen. Weg damit! Okay, versuch es mal damit. Ein weißblonder Pagenkopf saß auf meinem Kopf – das bin ich nicht, kicher. Der Schnitt macht echt nichts für mein Gesicht. Brüll!

Neue Möglichkeiten

Oder mal ganz anders: links kurz und rechts lang. The 80ies are back oder Boy George für Arme. Schrecklich. Nee. Und schließlich die braune Tigermähne: „Du siehst aus wie ein verruchter, männermordender Vamp!“ Meine Mutter war sichtlich beeindruckt. „Diese Seite kenne ich gar nicht an dir“, murmelte sie erschrocken. „Für ´nen interessanten Zweitjob vielleicht“, brach es aus mir raus. Meine Freundin legte noch mal nach: „Du, da tun sich ja ganz neue lukrative Möglichkeiten auf.“ und klatschte juchzend in die Hände.

Fröhliches Finale

Uns liefen die Lachtränen nur so runter. Die Dame aus der Nachbarkabine war inzwischen ebenfalls dazugestoßen und kommentierte munter mit. Ich vermute mal so viel Lebensfreude und Spaß wie an dem Dezemberabend hatte der Laden schon länger nicht erlebt – vor allem vor diesem Hintergrund. Es fehlte eigentlich nur noch die Polonaise.

Sicher ist es keine Überraschung für dich, am Ende wurde es das erste Modell. Und eins ist auch sicher, den Tag werde ich nie vergessen. Er hat mir den Einstieg in die neue Welt leichter gemacht. Ladies, es war schön mit euch. Merci. Denn was ich bis dahin nicht wusste ist, dass Perücken ein guter Schutz sind, um durch die erste Zeit zu kommen, blöde Sprüche abzuwehren.

Ach ja, auch das solltest du wissen: Mein Mann fand mich mit Glatze übrigens wunderschön und sexy. Und ich glaub´ s ihm auch! Als „die Pracht“ wiederkam – ja, sie kam wieder – fand er es fast ein bisschen schade. Meinen erster Friseurbesuch nach mehr als zwei Jahren werde ich nie vergessen. 

Einige Praktische Tipps für die Zeit während der Therapie, habe ich für dich auch in der Rubrik: „Du brauchst“ zusammengestellt. Schau mal rein, vielleicht findest du etwas Nützliches für dich.

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5 Gedanken zu „Die Chemo kommt, die Haare gehen

  1. Vielen Dank für den Beitrag zu deinen Perücken. Meine Schwester möchte eine Perücke nach Maß kaufen, da sie bei ihrer Therapie auch die Haare verliert. Gut zu wissen, dass man die Perücken auch dafür nutzen kann, neue Seiten an sich zu entdecken.

    1. In der Tat, liebe Hanna. Man sollte eben das Beste aus der ganzen Situation machen. Da fühlt man sich auch gleich viel besser. Herzliche Grüße an deine Schwester und alles, alles Gute für euch beide, Nella

  2. Der Haarausfall ist unvermeidlich und es ist, als ob man sich ein Schild mit der Diagnose umhängen würde.
    Ich war hin und her gerissen zwischen provokativer Glatze ohne jegliches vertuschendes Mützchen und kunstvoll drapiertem Tuch oder der lebensechten Perücke.
    Am liebsten hätte ich mir meine Glatze tätowieren lassen. Zur Probe habe ich mir Aufklebetattoos drauf gemacht. Sah ganz gut aus
    Gegen die provokative Glatze sprach zuallererst die Jahreszeit: Hochsommer mit weißer sonnenungewohnter Kopfhaut? Noch dazu, wo ich im normalen Leben so dichte und viele gelockte Haare habe, dass meine Kopfhaut vermutlich überhaupt keine Ahnung von der Existenz von UV- Strahlen hat. Keine gute Idee….
    Dann eben Perücke. Am besten so, dass keiner was merkt. Nach lustigem Anprobespiel mit routinierter Friseurin (ja, die gibt es auch im ländlichen Bereich!) und meiner 18-jährigen, modebewussten Tochter bekam ich quasi eine 1:1 Kopie meiner Haarpracht, die ich morgens nach dem Zähneputzen aufsetze und erst vorm Bett wieder absetze.
    Vorteile:
    -man macht den Krebs unsichtbar, vor allem aufm Dorf und erspart sich damit jede ungewollte Kommunikation
    UND: jede dumme Nicht-Kommunikation (aus dem Weg gehen, weil die Leute nicht wissen, was sie sagen sollen). So reden sie einfach wie bisher.
    -jeder Blick in den Spiegel täuscht Normalität vor: das tut guuuut!
    -ebenso jedes andere Spiegelbild: Schaufenster, Fenster, Wasseroberfläche etc.
    -mit guten Freunden kann man viel Spaß mit der Perücke haben…. (meine Tochter hat sie sich für ein Fotoshooting ausgeliehen)
    -sie ist so schnell aufgesetzt wie eine Mütze und schneller aufgesetzt als ein Tuch kunstvoll um den Kopf gewickelt.

    Bester Spruch am Grillfeuer: „Ich darf nicht so nah ans Feuer, sonst schmilzt meine Perücke und dann seh ich aus wie ein Playmobil-Männchen“
    Ich nenne meine Perücke übrigens „Skalp“.

    Über manche Zonen der Haarlosigkeit bin ich ganz erfreut. Noch nie hatte ich so perfekt haarlose Achseln und Beine wie diesen Sommer. Komplett stoppelfrei, Wahnsinn! Kein Damenbart. Und erst die Bikinizone…. da eröffnen sich ganz neue Perspektiven im Liebesspiel…

    Liebe Grüße,
    Astrid

    1. In der Tat, liebe Astrid, der Vorteil an einer Perücke ist durchaus, dass sie einen vor blöden Kommentaren schützt (gerade am Anfang) und dazu die Frisur eigentlich immer gut sitzt, beziehungsweise nie geschnitten werden muss. Spart viel Geld ;-). Insgesamt erspart man (frau) sich auch ´ne Menge an Equipment für Rasur & Co. ;-). Meine Haare sind übrigens schöner denn je zurückgekommen und sehr lockig. Das kommt bei Chemotherapien sehr häufig vor und liegt daran, dass die zerstörten Zellen sich regenerieren und im Falle der Haare dann dicker und damit lockiger nachwachsen, erklärte mir mein Onkologe.

      Eine Freundin berichtete mir umgekehrt – sie trug selbstbewusst ihre Glatze – , dass sie noch nie so viele Komplimente und zugesteckte Visitenkarten mit vielversprechenden Angeboten von Männern erhalten hatte, wie in dieser haarlosen Zeit. Meine Perücke flog übrigens nach ungefähr 5 mm Haarwuchs vom Kopf, war mir definitiv zu warm. Ich habe das für besonders neugierige und „distanzgestörte“ Nachbarn als Typveränderung verkauft. Kam auch gut an. Kurz um: Man wächst mit seinen Aufgaben. kicher. Es grüßt herzlich, die Nella

      1. Hallo Nella,
        Wir wohnen hier direkt an einem See und oft bade ich komplett nackt, hüpfe sozusagen als „Gollum“ voller Spaß in den See… Theoretisch hab ich kein Problem mit dem „Eierkopf“, aber alltagstauglicher ist es mit Skalp. Meine Perücke bleibt übrigens auch beim Radfahren bei 65 km/h selbständig auf dem Kopf, Habs mehrfach getestet
        Liebe Grüße,
        Astrid

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