Hi, liebe Leserin, lieber Leser,
bevor ich dir hier von meinen Weg, meiner Geschichte nach der Krebsdiagnose berichte, stelle ich mich dir kurz einmal vor:
Mein Name ist Nella Rausch (Nella ist mein Spitzname). Ich bin Jahrgang 1966 und in Dortmund, in Westfalen zur Welt gekommen. Nach meinem Jurastudium (Nebenfach Sinologie) in Passau bin ich über Hamburg und einige (14 !) Umzüge in Berlin-Charlottenburg gelandet. Dort habe ich meinen Ehemann kennengelernt, mit dem ich drei Kinder habe: Einen „geschenkten“ Sohn (bei Diagnosestellung 26 Jahre alt), eine Tochter (damals 13 Jahre alt) und einen Sohn (damals 9 Jahre alt). Das Foto von Anikka Bauer ist 2022 und damit fast sieben Jahre nach meiner Diagnose (12 / 2015 Non-Hodgkin-Lymphom, 4. Stadium – 2017 allogene Stammzelltransplantation) entstanden.
Meine beruflichen Stationen sind vielseitig und folgen alle der Liebe zur Sprache, dem geschriebenen Wort und der Freude an kreativen Konzepten. Ich war unter anderem als Journalistin, Werbetexterin, PR-Consultant, Prokuristin und Projektleiterin in den verschiedensten Branchen tätig und liebe es, mich zu vernetzen, neue Menschen kennenzulernen und Ideen zu entwickeln.
Ich bin sehr gerne auf und am Wasser. Das Segeln habe ich schon früh gelernt. Hamburg ist neben Berlin meine absolute Lieblingsstadt. Sobald ich mir etwas Zeit freigeschaufelt habe, gehe ich gerne Walken und fahre Rad. Lesen und Schreiben sind allerdings meine größten Hobbies und seit 2020 auch das Podcasten für „Nellas Neuaufnahme“. Denn eigentlich wollte ich immer Moderatorin werden. Jetzt habe ich meine eigene „Sendung“ und kann das Programm selbst bestimmten. Das hätte ich mir niemals träumen lassen.
Medizinische Themen sind mir seit frühester Kindheit vertraut, denn meine Familie besteht fast ausschließlich aus Ärztinnen und Ärzten. Patienten, Diagnosen und Therapien waren fester Bestandteil der Mittagstischunterhaltung und bestimmten die Gespräche auf wirklich jeder Familienfeier – stöhn. Manchmal wurde es mir echt zu viel. Unter dem sogenannten Weißkittelsyndrom leide ich daher nicht, ein Selbstläufer war meine Zeit während der Therapie deswegen allerdings auch nicht, was du gleich unten nachlesen kannst.
Worum geht es mir?
Was ich im Zellenkaurssell aufgreife, sind Themen, die alle Krebspatient:innen betreffen. Ganz unabhängig von der Krebsart machen wir alle diese drei Phasen durch:
1. die Diagnose,
2. die Therapie und
3. – das wird meist gar nicht so herausgestellt – die Zeit nach der Therapie.
Wir haben alle sehr ähnliche Ängste und Herausforderungen zu meistern. Darauf hinzuweisen, ist mir sehr wichtig.
Das Zellenkarussell ist so konzipiert, dass ich einen bewusst lockeren und humorvollen Ton gewählt habe, um mit der Diagnose umzugehen. Meine Tipps und Erfahrungsberichte sind immer auch mit einem kleinen Augenzwinkern versehen. Das entspricht mir persönlich als Kind des Ruhrpotts sowieso und macht es dir bestimmt auch ein wenig leichter durch diese herausfordernde Zeit zu kommen. Die Lage ist schon kompliziert und schwer genug, da möchte ich nicht noch mit dem verbalen „Verstärkungshammer“ drauf hauen. Daher habe ich auch ganz bewusst auf Bilder mit Glatzen, Kopftüchern und Infusionsständern verzichtet. Das kennen wir alle zur Genüge.
Jetzt aber viel Spaß beim Lesen und Stöbern. Du wirst hier sicher einiges finden, was dich leichter durch die nächsten Schritte bringt. Und natürlich auch dich, lieber Angehöriger, liebe Angehörige und lieber Lieblingsmensch.
Denn eines ist klar: Wir schaffen das nur gemeinsam.
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Meine Geschichte
Hier möchte ich dir in aller Kürze (ha, ha!) schildern, wie mein Weg von der Krebsdiagnose über den Therapieverlauf bis hin zur Heilung verlaufen ist. So der Stand heute.
Vielleicht entdeckst du ja die eine oder andere Parallele. Am Ende meiner Geschichte steht stellvertretend für alle Krebspatienten die eine wichtige Erkenntnis, die ich dir gerne mitteilen und weitergeben möchte:
Gib dich niemals auf. Ergreife jede Chance, die sich dir bietet. Die Entscheidung dafür liegt in deiner Hand, bei allem anderen wirst du getrieben.
Ich möchte dir hiermit auch zeigen, wie es hoffentlich – etwas – leichter fällt, mit einem solchen Schicksalsschlag, einer so umfassenden existentiellen Krise umzugehen. Das Lebenswerte im Leben herauszukitzeln, die Lebensqualität, die schnell eine große Bedeutung erlangt und du deinen eigenen Weg findest, mit all dem umzugehen.
„DAS DAUERT ETWAS LÄNGER!“ – die Vorgeschichte
Gut, Mütter machen immer gleich etwas Panik „Sofort ins Krankenhaus, sofort!“ war ihre erste Reaktion auf meinen Anruf und Beschreibung meiner Situation. Auch mein Sohn hatte zu der Zeit (im Dezember 2015) sein Medizinstudium noch nicht ganz abgeschlossen, machte aber – so dachte ich – einen auf „jungen Doc“ und gab mir, nachdem ich ihm erklärt hatte, wie mies es mir ging und dass ich jetzt so eine unschöne dicke Beule unterm rechten Rippenbogen fühlte, klare ärztliche Anweisungen. Und zwar in einem entschiedenen Ton, den ich so nicht von ihm kannte, abschließend „garniert“ mit dem eindeutigen Hinweis: „Ab ins Krankenhaus, keine Minute verlieren!“ Genau wie meine Mutter, konnte kein Zufall sein.
„Weltraum-Herpes“ am Nikolaustag
Es war Nikolaustag 2015, der Geburtstag meines Großvaters Nikolaus, der an diesem Tag 97 Jahre alt geworden wäre. Der 6. Dezember war in unserer Familie immer schon ein Tag mit großem Festcharakter, mit viel Lachen, einem großen lauten Durcheinander von Kinderstimmen und dem obligatorischen Weihnachtsmarktbesuch. Dieses Datum ging bei uns über die handelsübliche Nikolaustagsbedeutung hinaus.
Wir hatten in unserer “Klimbimfamilie” wie ich sie immer nenne unseren eigenen sehr witzigen Nikolaus, der dazu noch ein ausgewiesenes Glückskind war. Er hatte immer den Riecher für die beste Entscheidung in scheinbar ausweglosen Situationen gehabt. Dieser Opa im Gepäck machte mir schon immer einiges leichter. Eine herzliche Fröhlichkeit und Offenheit gehören zu meiner DNA. Daher dachte ich auch an diesem Tag kann nichts Schlimmes passieren und wenn doch, wird es ein gutes Ende haben. Davon war ich, vielleicht etwas naiv total überzeugt.
Außerdem wollte ich zur Hochzeit einer Freundin. Was sollte also schief gehen.
Aber diese komische Beule, mein aktueller „Weltraum-Herpes“ – ich nenne schon immer Dinge, die niemand braucht, gerne mal verallgemeinernd „Weltraum-Herpes“ – machte mir doch etwas Sorgen und ließ mich nicht so unbeschwert sein wie sonst.
Die Vorboten
Seit einem halben Jahr hatte ich schon einen starken Leistungsabfall beobachtet (logo, bin wohl wegen meiner Lauferei übertrainiert), immenser Gewichtsverlust (Stress im Job, was sonst) und heftiges, nächtliches Schwitzen (klar, die Wechseljahre, ich war 49 Jahre alt, das hätte gepasst. Man findet ja immer Begründungen für dies und das. Dennoch, ich ließ mir einen Termin bei meiner Hausärztin geben, nachdem die Gynäkologin einen ausgewogenen Hormonhaushalt festgestellt hatte: KEINE Wechseljahresbeschwerden, eindeutig nicht.
Nach der Auswertung meiner Blutwerte (Leberwerte ziemlich erhöht, Thrombozyten ziemlich niedrig, 70.000) kam sie, also meine Hausärztin, zu folgendem Schluss: „Na, liebe Nella, sie trinken wohl etwas zu viel Alkohol in letzter Zeit.“ Ich darauf: „Nicht mehr und nicht weniger als sonst und als die meisten.“ Sie lächelte mich nur an. Sie glaubte mir eindeutig nicht. Außerdem stellte sie die Vermutung auf eine Eisenspeicherkrankheit an und machte einen Termin beim Hepatologen im Januar 2016 aus. Also eigentlich alles im Griff. Dachte ich. Aber falsch gedacht!
Verkannte B-Symptomatik
Nun, um es vorwegzunehmen und die fachliche „Kompetenz“ meiner Hausärztin zu unterstreichen, ich hätte den Termin beim Hepatologen nicht mehr lebend erreicht.
Dramatischer Leistungsabfall, hoher Gewichtsverlust in kurzer Zeit (acht Kilo in sechs Wochen) – ohne, dass ich dafür etwas an meinem Essverhalten geändert hätte und übermäßiger nächtlicher Schweiß deuten eindeutig in die Richtung Krebs – so steht es in jedem ärztlichen Lehrbuch unter dem Stichwort „B-Symptomatik“.
Vor allem, wenn dann auch noch eine Verdoppelung der üblichen Milzgröße zu ertasten ist. Vorausgesetzt natürlich, sie hätte diese einfache diagnostische Methode überhaupt in Erwägung gezogen. Denn auch das hatte sie versäumt.
Mein Sohn sagte später mal, das wäre eigentlich medizinisches Grundwissen, 4. Semester. Warum meine Ärztin nicht drauf kam, weiß ich bis heute nicht. Egal – vergossene Milch und Hadern bindet nur Kräfte, die man an anderer Stelle braucht.
In der Zwischenzeit hatten mich weitere Nachrichten über die schlechten diagnostischen Fähigkeiten dieser Ärztin erreicht. Ich wohne zwar in einer Großstadt, aber mein Kiez ist „wie ein Dorf“.
Ich will nicht zurückschauen und außerdem ist das ein anderes Thema. „Augen auf bei der Ärztewahl“ kann ich nur sagen.
Die Ruhe vor dem Sturm
Kommen wir zurück zum 6. Dezember und den Anweisungen meiner Lieben, doch bitte sofort ins Krankenhaus zu gehen.
Okay, alles klar, ich habe verstanden. Ich begebe mich in die Notaufnahme. Beruhigt euch. Die werden mir schon sagen, was mit mir los ist.
Aber erst einmal mache ich mich noch etwas zurecht. „Wie“, sagt mein Mann „du willst jetzt erst mal duschen?“ Ungläubiges Kopfschütteln, gar Entsetzen begleitete seine Frage. Als ich dann noch meine Pediküre, inklusive des Auftragens meines Lieblingsnagellacks mache, versteht er die Welt nicht mehr.
Aber irgendwie hatte ich so ein ganz ungutes, undefinierbares Gefühl und habe wahrscheinlich so eine Art Übersprunghandlung vorgenommen, um den Druck aus der Situation zu nehmen. Im Nebenberuf bin ich, wie viele andere Frauen auch, eine begabte (schmunzel) Küchenpsychologin, das solltet Ihr wissen.
In der Notaufnahme angekommen und unterm Ultraschall liegend, entging mir nicht, dass der Arzt (Typ Christoph Maria Herbst) in der Notfallambulanz immer ruhiger wurde. So eine Ruhe, die sehr bedrohlich wirkte. Also die sprichwörtliche „Ruhe vor dem Sturm“.
„Wir behalten Sie erst mal hier. Das muss abgeklärt werden. Das dauert etwas länger.“
Diese Sätze hallen heute noch nach. Denn natürlich dachte ich, „länger“ bedeutet maximal 1-2 Tage, vielleicht eine Woche. Dass daraus bald vier Jahre wurden, hatte man mir nicht gesagt.
Im vollen Lauf erwischt
Vor meiner Krebserkrankung (dazu gleich mehr) – also leider kein „Weltraum-Herpes“, die Beule war eine sogenannte Raumforderung meines Lymphoms – war ich ziemlich aktiv und hatte reichlich „Bälle in der Luft“. Beruflich wie privat.
Ende März 2015 war ich noch Halbmarathon gelaufen und hatte im Mai am Frauenlauf (10 km) teilgenommen, mein Trainingspensum lag bei ca. 30 – 40 km Laufstrecke pro Woche. Dazu habe ich Flamenco getanzt, bin regelmäßig Rad gefahren und habe mich mit Hanteltraining fit gehalten. Auch beruflich lief alles top. Ich hatte Aussicht auf einen großen Karrieresprung. Dazu sollte es am 11.12.2015 ein Gespräch mit der Personalabteilung geben …
Man kann also wirklich sagen, es hatte mich in vollem Lauf erwischt!
„Das ist doch eine Verwechslung“
Als ich dann doch die Krebsdiagnose Non-Hodgkin-Lymphom (eine Form des Blutkrebses) bekam, war das für uns alle ein großer Schock. Ich weiß noch genau, dass ich den Oberarzt, der mir offenbarte, dass wir es bei mir entweder mit einer Leukämie oder einem Non-Hodgkin-Lymphom zu tun hätten, gefragt habe, ob es sich da nicht um einen Irrtum handele. Er meine doch nicht wirklich mich, sondern die Patientin auf dem Flur. „Das ist doch sicher eine Verwechselung“, hörte ich mich sagen.
Ich war fassungslos und musste erst mal tief Luft holen. Dicke Tränen kullerten über mein Gesicht. Diese Nachricht war so irreal, so groß! Ich bat um eine Gedankenpause. Als ich mich halbwegs beruhigt hatte, war meine geschluchzte Reaktion: “Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, bestelle ich das Lymphom.” Mir war aus meiner PR-Arbeit für das Kompetenznetz Pädiatrische Onkologie und Hämatologie bekannt, dass diese Diagnose, die besser zu behandelnde war.
Die Prognose
Mein Mann beschrieb die kommende Zeit einmal mit diesen Worten: „Jeder Tag fühlt sich an wie eine Woche. Es ist einfach unmenschlich, was wir alle durchmachen. Das Tempo der Erkenntnisse ist schneller, als der Verstand erfassen kann.“ Jeder Tag brachte neue Hiobsbotschaften, neue Ergebnisse prasselten an einigen Tagen im Stundentakt auf uns ein. Wir waren schier atemlos. Ganz am Anfang hieß es: Ja, die Diagnose ist schlimm, und ja, das dauert etwas länger – da war er wieder, dieser Satz –, aber diese Krebsart sei zu 95 Prozent heilbar, das werde schon.
Die Therapie sei sehr anstrengend, aber am Ende stünde die Heilung. Aber was nutzt dir die Statistik, wenn du zu den 5 Prozent gehörst?
Außerdem – so eine der vielen beruhigenden Nachrichten – gebe es da einen Antikörper, der wäre ein wahres Zaubermittel. „Keine Sorge Nella, in einem Jahr bist du wieder auf der Piste.“ So dachte ich, so dachten alle, so war der Plan.
Gute Voraussetzungen
Der therapeutische Ritt durch die folgenden Monate war wirklich nicht sonderlich angenehm, aber auszuhalten. Hatte ich doch durch mein sportliches Vorleben eine gute Konstitution und die Nebenwirkungen der Chemo waren nicht so heftig wie bei manch anderem.
Zu Gute kam mir auch mein unerschütterlicher Optimismus und mein feiner Humor, der Hang den Dingen immer mit einer gewissen Leichtigkeit zu begegnen. Ich bin nun mal ein Mensch, der mit großer, fast naiver Zuversicht ausgestattet ist. Außerdem hatte ja mein Großvater Geburtstag und der hatte immer eine riesige Portion Glück in seinem Leben gehabt. Warum sollte dieses Glück nicht auf mich abfärben? Natürlich hänge ich dazu noch an meinem Leben und meine Kinder wollte ich unbedingt aufwachsen sehen. Ihren ersten großen Liebeskummer lindern, ihre kleinen und großen Erfolge feiern, ihnen meine Liebe geben, die sie fürs Leben stark macht.
Meinen ausgeprägten Lebenswillen hatte ich schon öfter unter Beweis gestellt. Außerdem hielt ich mich natürlich an der Aussage fest: „Dein Krebs ist gut heilbar, liebe Nella.“
- Wie du die erste Zeit auf der Station plant und angeht, kannst du in meinem Beitrag: „Jetzt wird es stationär“ nachlesen. Gerade wenn du oder dein Partner/deine Partnerin ganz am Anfang der Therapie steht, sind diese Tipps äußerst hilfreich.
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Schreckgespenst – Therapieversagen
Ja, Pustekuchen. Nix war. Nach sechs Monaten und acht Zyklen mit intensiver Chemotherapie stand gefühlt das ganze Stationsteam mit bedeutungsschwangerem Gesicht an meinem Bett. So viele Doctores wie eine Handballmannschaft. Sogar meine Psychoonkologin war mitgekommen.
- Kurzer Einschub: Visiten in dieser Mannstärke haben eine furchteinflößende Kraft, wie man damit umgeht und wie man sich vorbereitet, habe ich für euch in meinem Beitrag: „Visite, Arztgespräch und Untersuchung, das sind die neuen Meetings“ zusammengetragen. Lest gerne mal rein.
- Und: was kannst du gegen deine Ängste tun? Angst lass nach! – In sieben Schritten gegen ein Gefühl, das jeder kennt – Zellenkarussell
Ich ahnte nichts Gutes. Meine böse Vorahnung sollte sich leider bestätigen. Der Chefarzt holte tief Luft und überbrachte mir die Botschaft des sogenannten Therapieversagens.
Ich hatte das Wort vorher noch nie gehört, es ist ein „Fallbeil“, so viel lass dir sagen. Wham, das saß! Alle waren tief betroffen. Mir wurde heiß und mein Blut dröhnte in meinen Ohren. Ich hörte mit aufgerissenen Augen den Ausführungen meines sehr geschätzten Chefarztes zu, der selbst ratlos und gleichzeitig fast wütend über diesen Verlauf war. Seine verzweifelte Enttäuschung war fühlbar.
Er redete wie um sein Leben. Hatte er doch schon mehr Pfeile abgeschossen, als der Standard hergab, und trotzdem dieses niederschmetternde Ergebnis. Mein „Sausack“, wie ich ihn nenne, war immun gegen die Chemotherapie. Nach einem langen Vortrag über die möglichen nächsten Schritte und Behandlungsmethoden war klar, Heilung war nicht in Sicht.
Das Positive daran war, dass ich genau dieses fatale Fazit, dieses, ich muss es so klar sagen, Todesurteil komplett ausgeblendet hatte. Ich habe es schlichtweg ignoriert beziehungsweise überhaupt erst gar nicht an mich herangelassen.
Ich denke, das war mein Glück. Sonst hätte ich nicht so viel Kraft für die vor mir liegende Zeit gehabt.
… und raus bist du …
Was dann auf mich zukam war heftiger als alles, was ich zuvor erlebt hatte. Ich versuche es im Schnellverfahren zu beschreiben: Angedacht war dann eine autologe Stammzelltransplantation. Am Tag der Aufnahme im Krankenhaus dafür, fing mich mein Oberarzt ab und meinte, er hätte eine Alternativtherapie, die er mir vorschlagen wolle, weil sie sehr vielversprechend sei. Dazu müsse ich nach Köln fahren, am besten heute noch. Denn die Therapie wäre an eine Studienteilnahem geknüpft für die in zwei Tagen Aufnahmestop wäre. Die Charité hätte bereist in der Uniklinik Köln angerufen, alle wären bereit für mich.
Nach einem kurzen Aufklärungsgespräch rief ich meinen Mann an, der noch auf dem Parkplatz stand und wendete meinem Rollkoffer. Vier Stunden später saßen wir im Auto auf dem Weg nach Köln.
Das war der Hoffnungsstreif am Horizont, die Aussicht auf die Teilnahme an der lebensrettenden Studie, der sogenannten CAR-T-Studie.
Vierzehn Tage später nach vielen Kontrolluntersuchungen und Biopsien dann wieder ein Rückschlag. Während einer kleinen Laufrunde erhielt ich per Handy den Anruf, der sich für mich anfühlte wie das Ende der Welt. Ich und meine Zellen passten nicht ins Schema. Der nächste Schock. Erneut ein heftiger Tiefschlag für mich und meine Familie.
Mir ging es sehr schnell immer schlechter. An Laufen war nicht mehr zu denken. Ich lag nur noch im Bett und war völlig erschöpft. Die Eckpfeiler meiner Beerdigung hatte ich mit meinem Mann bereits ganz ruhig und gefasst besprochen. Die Möglichkeiten waren ausgereizt, so schien es. Ich betete viel und dachte an meinen Großvater da oben.
Trotz all dieser Zuspitzungen hatte ich die Hoffnung nicht verloren und darauf vertraut, dass die Ärzte schon etwas finden werden, etwas, das mir hilft.
3 Prozent können manchmal 100 Prozent sein
Und so war es auch. Endlich. Ende Oktober 2016 wurde eine ganz neue Karte gezogen, mehr oder weniger inoffiziell und abseits der üblichen Wege starteten die Ärzte mit einer neuen Immuntherapie (die Grundlage bildete der Antikörper Nivolumab) und dem Mut der Verzweiflung eines letzten Versuches.
Mein behandelnder Oberarzt sagte mir damals eindringlich: „Nella, wir befinden uns jetzt im experimentellen Bereich. Sie sind sozusagen Ihre eigene Studie. Es gibt niemanden, der uns bekannt ist, der auf diese Weise behandelt wird. Aber wir glauben an Sie, auch wegen Ihrer so unerschütterlichen positiven, kämpferischen Haltung.
Wir lassen jetzt die „Bluthunde von der Kette“ und mobilisieren ihre T-Zellen (Krebskiller-Zellen), die im Dornröschenschlaf liegen.“ So viele Bilder, aber sie helfen. Ich fand „meine Bluthunde“ gleich sehr liebenswert.
Die Erfolgswahrscheinlichkeit dieser Therapie lag damals bei 3 Prozent. Da war mehr Hoffnung denn Erwartung. Und – oh Wunder – genau diese Therapie, dieses medizinische Wagnis führte zum Erfolg. Die Ergebnisse waren super. Alles war weg. Alle waren total „besoffen vor Glück“.
Niemand hätte auch nur einen Pfifferling darauf gewettet, dass das funktioniert. Nur ich war immer davon überzeugt, dass ich irgendwie wieder aus dieser Scheiße (sorry) rauskomme. Ich weiß auch nicht, woher ich diese Zuversicht genommen habe, aber es war so tief in mir verwurzelt und am Ende sollte ich ja auch Recht behalten.
„Und jetzt noch eine Stammzelltransplantation? Hilfe!“
Nach diesem „Wunder“ – das war die eindeutige Einschätzung der Ärzte – war dann „die Bühne frei“ für eine Fremd-Stammzellenspende. Das ersehnte Plateau war erreicht. Mit meinen eigenen Stammzellen wäre das Risiko eines Rezidivs zu groß gewesen. Diese Therapie sollte die Remission absichern. Für meinen off-Label-use gab es keine belastbaren Erkenntnisse, ich war ja die einzige Probandin.
Vorher wäre übrigens eine Stammzelltransplantation rein medizinisch nicht realisierbar gewesen, meine Blutwerte waren viel zu schlecht. Ich hätte sie nicht überlebt. Aber jetzt standen die Chancen gut, so die Ärzte.
Stammzelltransplantation! Grusel. Genau das wollte ich nie! Ich hatte mächtige Angst vor dieser Therapie, hatte ich doch schon viele Horrorgeschichten von Mitpatienten gehört, die in Foren unterwegs waren. Anmerkung meinerseits an dieser Stelle: Meidet derlei Plattformen! Da ist sicher viel Wahres, Schicksalhaftes drin, aber jede Erkrankung ist anders, hat eine andere Vorgeschichte, andere Verläufe. Nichts ist vergleichbar oder besser, Schilderungen können maximal eine Annäherung sein und machen mehr Angst als alles andere. Außerdem, Erfolgsgeschichten finden hier nicht statt. Wie gesagt, das ist meine bescheidene, persönliche Ansicht dazu.
Spender gesucht – und gefunden
Die Suche nach einem passenden Spender (mehr zu diesem Teil meiner Geschichte könnt ich hier nachlesen) wurde schnell eingeleitet und dann kam die Nachricht: Ja, wir haben sogar zwei mögliche Spender gefunden! Zwei mir völlig unbekannte Menschen hatten eine genetische Übereinstimmung von 100 Prozent. Beide hatten sich typisieren lassen. Völlig selbstlos! Unfassbar. Selbst ich hatte mich – als ich noch gesund war – nicht mit dieser Option beschäftigt.
Dass aber mein Spender die Sache durchgezogen hatte, ist echtes Glück für mich und habe ich eigentlich auch erst jetzt – zwei Jahre danach so richtig verstanden! Einfach unbeschreiblich! Denn es kommt leider nicht selten vor, dass man niemanden findet. Oder der Spender im letzten Moment abspringt, auch das kommt leider vor. Ich bin ihm so unendlich dankbar!
Zweiter Geburtstag
Am 23. Juni 2017 (mein zweiter Geburtstag) wurden mir gegen 15 Uhr die neuen Stammzellen per Infusion in der Uniklinik Münster verabreicht. Gott sei Dank liefen die fast vier Wochen in der Isolation für mich sehr störungsfrei und komplikationslos ab.
Ich war zwar recht schwach, aber sonst alles paletti. Erst danach kamen reichlich Graft-versus-Host-Reaktionen (GvH-D). Kurz gesagt bedeutet das, dass das neue Immunsystem gegen das alte – also meines – kämpft. Gesetzt war: Das Spendersystem sollte und musste gewinnen.
Am schlimmsten waren meine Lunge und meine Augen betroffen. Aber die GvH-Reaktionen bedeuten auch, dass das Spendersystem dem „Sausack“ Paroli bietet und es nicht mehr zum Vorschein kommen lässt. Es funktioniert eben, ganz im Gegensatz zu meinem.
Ich bin wieder da!
Oder anders gesagt: Ich bin wieder da! Und das habe ich – neben meinem Spender – so vielen Menschen zu verdanken. Und natürlich nicht zu vergessen, mir selbst. Meiner Kraft und Unerschütterlichkeit. Außerdem hatte ich eine große Portion Glück.
Denn das braucht man auch. Unbedingt. Natürlich gab es auch bei mir zahlreiche Täler, die ich durchwandern musste, aber irgendwie – unter anderem mit einer Teilnahme an einem Glücksseminar (!) – habe ich mich da immer wieder rausgedreht.
Wie ich das gemacht habe?
Ich denke, mit meinem Humor, meiner Gesamthaltung mich nicht unterkriegen zu lassen und ganz viel Gespür für Menschen und Timings. Aber alles das ist inzwischen überstanden und ich beginne ganz langsam wieder meine Grundfitness aufzubauen. Heute weiß ich, dass ich damals schon über meine Ressourcen hinaus gelebt habe, mir viel zu viel zugemutet habe und nicht achtsam genug war, die Zeit und den Augenblick zu wenig geschätzt habe.
Sehr lesenswert:
Mein Lieblingsprojekt im Zellenkarussell ist eine Art „Interview-Beitrag“ den ich im April 2021 veröffentlicht habe. Sechzehn Krebsbloggern und Autoren habe ich die eine Frage gestellt:
„Willst du eigentlich dein „altes Leben“ vor der Krebsdiagnose zurück?“
Hier kannst du nachlesen, was sie dazu gesagt haben.
Du wirst erstaunt sein.
Aber alles das ist inzwischen überstanden und ich beginne ganz langsam wieder meine Grundfitness aufzubauen. Heute weiß ich, dass ich damals schon über meine Ressourcen hinaus gelebt habe, mir viel zu viel zugemutet habe.
Darauf werde ich in Zukunft mehr achten. Das habe ich mir geschworen. Und außerdem bin ich das meinem Spender Falk, den ich inzwischen getroffen habe, auch irgendwie schuldig, right?
Anmerkung: Stress oder viel Arbeit sind keine Auslöser für eine Krebserkrankung. Denn wäre das so, wären viele Vorstandsetagen wie leergefegt, gäbe es keine Fußballtrainer ohne Symptome oder hätten Alleinerziehende ganz schlechte Karten.
Deine Nella – ich bin wieder da!
Nachtrag
Anlässlich meines fünften „Zweiten Geburtstages“ (23.06.2022) nach der Stammzelltransplantation
Mettmanner Falk Perpeet rettet Berlinerin mit Stammzellspende das Leben (rp-online.de)
Den Text aus dem Artikel in der Rheinischen Post kannst du hier lesen.
Einige der viiiiielen lieben Wünsche und Reaktionen. DANKE euch, Ihr seid wunderbar.
„Das macht wirklich Mut …
bin im 2. Sommer meiner Krebserkrankung und oft sooo mutlos.“
Meine Antwort:
„Ach, du Liebe, wie du gelesen hast, kenne ich das auch. Ich habe immer versucht, sofort wieder den Fuß in die Tür zu stellen, wenn sie nur einen klitzekleinen Spalt aufging. Und dann war ich wieder da.
Lass den Mut nicht sinken, versuche jeden Moment aufzusaugen, der dich glücklich macht. Ein schönes Gespräch, eine liebe Umarmung, eine schöne Tasse Kaffee – für mich ganz wichtig, ein besonderer Sonnen-untergangsmoment …„
„So schön, dass du das machst. Derartiges zu erleben macht demütig. Und man kann viel mehr schätzen, was man hat.“
„Wow – Nella – danke für das Teilen deiner dunkelsten Stunden und Hut ab, dass du jetzt anderen in dieser schlimmen Zeit hilfst.“
„Mir geht es genauso! Dankbar staunend und explosiv glücklich.“
„Ich finde das großartig! Augenblicke genießen und das Glück festhalten.“
„Ich wünsche Dir auch weiterhin viel Kraft und Zuversicht … fühl Dich ganz doll gedrückt,“
„Herzlichen Glückwunsch liebe Nella Wahnsinn, was du alles geschafft hast, ich drück dich. Happy Birthday.“
Ich dazu: „Ich habe mich lange nicht getraut, meine körperlichen Tiefs zu benennen. Das tat einfach zu weh. Ich hoffe, ich erreiche damit ein paar Betroffene, die denken, dass es nicht mehr weiter geht …“
„Danke fürs Teilhaben lassen und herzlichen Glückwunsch!!! Du wirst so vielen Menschen Hoffnung, Mut, Kraft und Willen schenken – danke dafür!“