3 Dritte Phase - Nach TherapieKommunikationNach der TherapieNeuigkeitenStrategien

Der BLOCK in meinem Kopf: “Ich hatte Angst, mir im Schreiben zu begegnen.” 

“Schreib doch mal darüber, wie das so ist Krebsbloggerin zu sein. Wie es sich anfühlt, die berufliche Schreibperspektive zu verlassen und ganz privat, fast intim zu werden.”, forderte mich eine Freundin auf und stiftete mich zu diesem Beitrag hier an, in dem ich genau darüber berichten möchte, denn ehrlicherweise hatte ich darüber noch nie nachgedacht.

Tja, wie es für mich ist, als berufliche Vielschreiberin (als ehemalige Journalistin, Werbetexterin und PR-Expertin) über meine Erkrankung zu schreiben? Gute Frage. Ich nehme dich mal mit in meine Gedanken dazu.

Die erste Idee: Wissen vermitteln.

Als ich anfing zu bloggen hatte ich erst die Idee, Wissen zu vermitteln. Das war dem journalistischen Arbeiten sehr verwandt. Darzulegen, wie die Abläufe auf der Station sind, was wichtig ist. So ganz praktisch.

Denn wie die meisten, die eine Krebsdiagnose aus dem Nichts bekommen, war auch ich zunächst überfordert. Der Takt der schlechten Nachrichten hoch und die formellen und medizinischen Aspekte, um die ich mich kümmern sollte, überwältigend. Nach kurzer Zeit – ging ja gar nicht anders – hatte ich mir mit der Hilfe meines Mannes einiges an Know-how angeeignet, dass ich sehr gerne an meine hauptsächlich weiblichen Mitpatienten auf der Station weitergab. Eine Schwester meinte mal: “Sie können bald ein eigenes Büro mit Sprechzeiten hier einrichten.” Dringend notwendig wäre das ohne Frage gewesen.

Und dann kam Leben rein. Mein Leben.  

Daraus entwickelte sich allerdings schnell ein weiterer Ansatz: Ich wollte zeigen, dass ein Leben nach der Diagnose lebenswert ist. Wir alle Träume, Wünsche und Pläne haben, die wir gedenken umzusetzen, auch wenn es jetzt im Moment vielleicht etwas schwierig ist. Und damit begann das Persönliche.

Klick und raus – Zack, bin ich online 

Das Veröffentlichen dieser Texte hat mich am Anfang viel Mut gekostet. Wenn der Beitrag fertig war und ich auf Senden klickte, dachte ich: “Jetzt ist er raus, der Blogbeitrag, oh je. Was wohl die Leserinnen und Leser sagen werden?”

Doch da kam erst mal nichts, gar nichts. Wer kannte mich schon? Wer wusste überhaupt von meinem Zellenkarussell? Nicht viele. Die meisten waren Verwandte und Freunde. Schon komisch, dass ich damals so dachte, dabei war ich das Veröffentlichen von der Tageszeitung doch gewohnt. Wenn meine Artikel erschienen, wurden diese von zahlreichen Lesern in NRW gelesen. Da hätte ich viel nervöser sein müssen.

Mittendrin im Tabuthema Krebs

Was jetzt anders war, war meine ungewollte Verbundenheit mit einem Thema, dass in Deutschland immer noch mit einem Tabu belegt ist. “Über Krebs spricht man nicht.”

Genau das dachte übrigens eine Boutiqueverkäuferin. Als die Dame in einem T-Shirt-Verkaufsgespräch erkannte, dass mein Pflaster am Schlüsselbein wohl auf einen Port-OP zurückzuführen ist, befand ich mich im Handumdrehen in einem Dialog, der alles ins Rollen bringen sollte.

Nach wenigen Sekunden des Erkennens und Zuordnens konfrontierte sie mich ungefragt mit ihrer Geschichte: “Sie haben Krebs, ne?! Das sehe ich sofort. Meine Schwester hat das auch und jammert uns nur die Ohren voll.”, polterte sie mir entgegen. Nach einer kurzen Pause, in der ich ihr versuchte mitzuteilen, dass eben jeder Mensch die Krebsdiagnose anders verarbeitet, legte sie nach: “Die Hannelore Elsner hat das schon richtig gemacht. Niemanden hat sie belästigt mit ihrem Krebs, tolle Frau.”

Wie schnell ich den Laden verlassen habe, erinnere ich nicht mehr. Im Rausgehen rief ich ihr noch zu: “Ich möchte sie nicht weiter mit meinem Einkauf belästigen. Tschüss und ein schönes Leben noch.”

Aus Wut kann etwas wachsen, zum Beispiel ein Blog

Ich war wütend, extrem wütend sogar über so viel Unverschämtheit und Respektlosigkeit. Noch am selben Tag begann ich mit dem Schreiben für meinen Blog das Zellenkarussell. Diese unverblümte Denke war die Initialzündung für das, was ich inzwischen seit August 2019 tue: Über das Leben nach der Krebsdiagnose bloggen, schreiben und podcasten. Hannelore Elsner hatte ganz sicher ihre nachvollziehbaren privaten und vor allem beruflichen Gründe für ihr Schweigen. Ich aber konnte und wollte einen anderen Weg gehen.

Die Angst davor mir und meinen Gedanken im Schreiben zu begegnen

Aber warum hat das so lange gedauert? Das Schreiben darüber oder das Veröffentlichen begann erst fast vier Jahre nach meiner Diagnose (6. Dezember 2015 – Non-Hodgkin-Lymphom, 4. Stadium) und 15 Monate nach meiner Stammzelltransplantation (23. Juni 2017).

Das brauchte Anlauf und erforderte anscheinend auch eine Art Weckruf aus einer Boutique. Vorher hatte ich trotz oder vielleicht auch wegen meiner beruflich bedingten Vielschreiberei überhaupt nicht im Entferntesten darüber nachgedacht, auch nur Tagebuch zu führen oder Geschichten aus dem Stationsalltag aufzuschreiben.

Ich gehörte eher zu der Spezies, die sich in schöne Notizbücher verliebt, versonnen über den Buchdeckel streichelt, dran riecht und fleißig am ersten Tag zehn Seiten füllt, am zweiten fünf und am dritten denkt: Heute nicht. Morgen. Und schließlich ein anderes Projekt beginnt, das leise Rufen des wunderschönen Büchleins auf dem Nachttisch am Bett überhört, bis es sehr schnell unter einem Stapel von Romanen und Krimis verschwindet.

“Schwarz auf weiß” – keine gute Idee für Verdränger 

Der eigentliche Grund dafür ist aber, dass ich Angst davor hatte mir, meinen Gedanken und meiner Erkrankung im Schreiben zu begegnen. Es “schwarz auf weiß” zu haben, was los war. Da war ich einfach feige. Das war mir zu nah. Das, was ich erlebte, konnte ich so besser verdrängen, denn darin war und bin ich Meisterin.  

Die Verdrängung war mein Lebensretter, denke ich heute oft. Hätte ich alles notiert, was mir passiert war, welche Untersuchungen und vor allem welche Untersuchungsergebnisse mir um die roten Ohren geflogen sind, in welch atemloser Hilflosigkeit ich mich manchmal befand, hätte ich ganz sicher noch mehr Angst oder schlimmer Panik bekommen. Das dies NUR eine kurzfristige Belastung dargestellt hätte, habe ich erst jetzt durchdrungen.

Nix für “Placebotierchen”

Du musst nämlich wissen, ich bin das, was ich liebevoll ein “Placebotierchen” nenne. Bei mir wirken Tabletten schon, wenn sie auf meiner Zunge liegen oder umgekehrt bekomme ich garantiert immer genau die Nebenwirkungen, die auf dem Beipackzettel stehen. Daher lese ich die auch fast nie. Meine Mutter würde sagen: Nella war schon immer fantasiebegabt.

Stell dir doch nur mal vor, ich hätte das Wort Therapieversagen in meinem Tagebuch – wenn ich denn endlich mal „ordentlich“ geführt hätte – notiert oder die Absage für die Aufnahme in die für mich damals überlebenswichtige Studie oder das erneute Fehlschlagen einer weiteren Chemotherapie Ende 2016. Ich hätte das damals nicht verkraftet. Inzwischen weiß ich: Wenn dir die Worte fehlen, schreib es auf. Das Schreiben kann Wunden heilen. Vielleicht, wenn mir jemand davon erzählt hätte.  

Krebs ist kein Beinbruch mit einer lustigen Geschichte dahinter

Hätte ich einen Beinbruch gehabt oder so etwas ähnliches, hätte ich die Auszeit im Krankenbett vermutlich genossen und vielleicht auch lustige Situationen betextet, beschrieben, wie dusselig ich war, dass mir das passieren konnte, aber nicht bei dieser Diagnose. Das war ja nun mal kein Unfall.

Für mich und meine Familie waren die ersten 17 Monate Dauerstress auf höchstem Niveau. Erst mal medizinisch-inhaltlich: Wer weiß schon, was hinter dem Wort “Raumforderung” und der „Blut-Hirn-Schranke“ steckt, das Kürzel ZNS bedeutet und Checkpoint-Inhibitoren machen oder wie hoch das Stresspotential bei vermeintlich harmlosen Knochenmarkpunktionen ist und was das PET-CT von der PET-Flasche unterscheidet? Dann zwischenmenschlich: Wem du im Krankenzimmer und auf den Klinikfluren, den Untersuchungen begegnest? Was deine Angehörigen, deine Kinder, deine Liebsten durchmachen? Schließlich formell betrachtet diese “Behörden-Dinge”: Was ist eine Transportverordnung genau, wie ist das mit der Zusatzkostenbefreiung, wie sage ich es meinem Arbeitgeber und wann bin ich ausgesteuert?

Nach kurzer Pause kam regelmäßig, fast schon zuverlässig die nächste Hiobsbotschaft und keine Heilung in Sicht. Ein off-Label use mit einer Immuntherapie brachte die unerwartete Wende. Bis dahin war ich palliativ. Jetzt hieß es: “Wir können wieder über Heilung sprechen, Frau Rausch.” Die nachfolgende (Fremd-)Stammzelltransplantation erreichte genau das.

Seit Mitte 2017 bin ich krebsfrei. Oder wie es in der Fachsprache heißt, ein Krebsbefund ist mit derzeitigen Methoden nicht nachweisbar.  

Wer schreibt, der bleibt.

Vermutlich musste ich diese ganze Katharsis erst einmal hinter mir lassen. Meine Kraft ging nur in eine Richtung: Nicht aufgeben, an Heilung glauben.

Kennst du den Satz: “Wer schreibt, der bleibt.”?  Ich dachte, ich bleibe in der Krankheit stecken, wenn ich darüber schreibe. Hätte ich das niedergeschrieben, was ich in der Zeit alles aushalten musste, wäre mir das Ausmaß der Bedrohung meines Lebens so klar geworden, dass es mich umgehauen hätte.

“Sie sind ja auch todkrank und brauchen Hilfe.”, antwortete mir eine Schwester, als ich mich für ihre Zugewandtheit und Unterstützung bedankte. Nie habe ich mich so hilflos und verloren gefühlt. Es gibt eben Lügen die man liebt und Wahrheiten, die man hasst. Kurz danach bekam ich hohes Fieber.  

Mir war unterbewusst bewusst, ohne Hoffnung und Humor schaffe ich das alles nicht. Manche Dinge haben eben ihre Zeit. Das Schreiben war da noch nicht dran.

Freischreiben heilt. Erlebnisse teilen auch.

Nach meinem Aufeinandertreffen mit der Dame in der Boutique und dem “Freischreiben” danach, merkte ich sehr schnell, dass es sich gut anfühlt, all das rauszulassen. Die Begegnungen mit verschiedenen Menschen, die ich in meinem alten Leben bestimmt nie getroffen hätte, haben mich so bereichert. Darüber zu erzählen, von diesen wunderbaren Frauen und Männern, den Mitpatienten zu berichten, die mich, jede auf ihre Art so viel gelehrt haben, machte mich glücklich. Meine Texte hierzu gingen fast ins Romanhafte und flossen mir leicht aus den Fingern.

Als Journalistin kam ich nach der Redaktionsbesprechung von meinen Außenterminen in die Redaktion zurück und schrieb tagesaktuell nieder, was ich dort erfahren hatte. Diese Art zu schreiben, ist etwas völlig anderes. Auch als Werbetexterin, die ich über elf Jahre war, hatte ich einen Auftrag zu erfüllen. Ich schrieb immer für andere, für Kunden, die bestimmte Vorstellungen davon hatten, was im Ergebnis herauskommen sollte, um das Produkt leuchten zu lassen, im besten Licht natürlich. Und das Pressetexte dann auch noch mal ganz anders funktionieren, ist auch klar. Kurz gesagt: Mein professionelles Texten hat nichts mit dem Schreiben als Bloggerin und Autorin zu tun.

So viel Persönliches hatte ich noch nie über mich verfasst und schon gar nicht öffentlich gemacht. Das ist eine völlig andere Disziplin, aber eine sehr befriedigende, sinnstiftende, wohltuende und heilende. Geplant hatte ich diese Effekte nicht. Meine Intention war und ist eine andere. Mir geht es darum, Mut zu machen, zu informieren und damit Patienten zu empowern und Stigmata aufzulösen.


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Positives wertschätzen, Negatives verpacken.

Zwei wohltuende – heilende Effekte – des Schreibens über sich selbst: Einerseits kommen die positiven Seiten noch mal besser zum Vorschein, erfahren eine Würdigung. Wie zum Beispiel, die bereits oben erwähnten wundervollen Frauen und Männer, die ich in all den Jahren getroffen habe. (Hier ein paar „Bettgeschichten“ für dich: Auf gute Nachbarschaft – Zellenkarussell). Die werde ich nie vergessen. Sie haben einen festen Platz in meinem Herzen, in meinen Texten, in meinem Zellenkarussell.

Auch die Situationen auf den Klinikfluren, in denen ich auf Ärztinnen und Ärzte traf, die im Rückblick betrachtet so vieles richtig gemacht haben, die den angemessenen Ton getroffen und auf dramatische Ausschmückungen verzichtet haben, mir umgekehrt Zuversicht vermittelten und mir damit halfen, an mich zu glauben, konnte ich mit dem Schreiben noch mehr feiern.

Und andererseits fand ich Worte für schwere Krisen, lebensbedrohliche Szenen, unangenehme Begegnungen, die das Unfassbare greifbar machten: Von der Seele geschrieben, textlich verpackt vielleicht mit bunten Schleifchen drum und losgelassen.

Beispielsweise mein Beitrag über meine Diagnosestellung (“Über mich”) und die Zeit danach. Der hat mir die Freiheit gegeben, einfach darauf verweisen zu können, wenn ich gefragt werde, wie das denn alles angefangen hat, mein Krebs entdeckt wurde. So muss ich nicht immer und immer wieder erzählend in diese schmerzhafte Zeit zurück gehen.

Wie ticken “wir”?

Schnell ging es nicht mehr nur um das Vermitteln von Wissen und Praktischem oder das Erzählen von anekdotischen Geschichten, sondern darum, Ärztinnen und Ärzten zu zeigen, wie wir als Patientinnen und Patienten so ticken. Den oft beschworenen Perspektivwechsel zu pushen.

Das hat sechs (!) Wochen nach dem ich mit meinem Zellenkarussell “online gegangen” bin auch das Medizinportal DocCheck mitbekommen und mich gleich als Autorin für den Kanal “Zweitmeinung. Patienten reden über Ärzte” angefragt, für den ich anfänglich als einzige Bloggerin Texte veröffentlichte angeheuert.

Das mache ich übrigens immer noch. Das Besondere hier ist, dass ich Kommentare ausschließlich aus der medizinisch-pflegenden Branche erhalte, die natürlich eine ganz andere Sichtweise als wir Patientinnen und Patienten haben.

Am schönsten sind für mich dann die Momente, in denen mir Ärztinnen oder Ärzte, pflegende Menschen schreiben, dass sie es gut fanden, wie ich die Themen um die Krebserkrankung angehe, die gesundheitspolitische Situation bewerte, sie mir sagen, dass sie von bestimmten Gefühlen, Gegebenheiten gar nichts wussten oder sie mir erzählen, dass sie selbst erkrankt oder Angehörige sind und ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Auch ich bekomme damit Einblicke in deren Arbeit, die ich vorher nicht so gesehen, falsch interpretiert oder gar nicht verstanden habe. Eine klassische Win-Win-Situation.

Die Schreibstimme verändert sich

Meine Art zu schreiben hat sich natürlich über die Jahre entwickelt, auch das stelle ich fest. Inzwischen habe ich den professionellen Abstand zu machen Themen wiedergefunden, der es mir ermöglicht empathisch-humorvoll, aber mit einer Prise gut recherchierter Sachlichkeit über Situationen wie zum Beispiel das Warten im Wartezimmer zu schreiben.

Diese Mischung macht mir besonders viel Spaß und hat sich auch ein wenig zu meinem Markenzeichen entwickelt. Das ist meine Schreibstimme, die einen hohen Widererkennungswert hat.

Jetzt ist es so: Wenn mir die Worte fehlen, schreib ich sie auf und dann passiert die Magie. Es schreibt mich. Ideen und Strukturen fliegen mir zu. Vielleicht versuchst du es auch einmal.

Und: Recherchieren liegt mir einfach im Blut.

Hier noch mal die Erinnerung für die „Fantastische Freischreiberei“.
Am 4. Juli geht es los. >>> Klicke hier und du kommst zur offiziellen Anmeldung der „Fantastischen Freischreiberei“!

Und: ein dickes Dankeschön an SU Sommerfeld von Diagnose Leben für die Initialzündung zu diesem Beitrag.
Bis es so weit ist, kannst du auch gerne an meiner >>> Glückssucher-Challenge <<< teilnehmen.

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