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Warum tragen wir so lange den kratzigen (Lebens)Pulli mit uns rum?

Alles auf Neuanfang? – Wenn der Krebs dein Leben auf den Kopf stellt – Teil 1

Mit Thomas Zimmermann im Gespräch über Viktor Frankl und seine Existenzanalyse.

Eine von Frankls Kernthesen lautet: Frage nicht, was du vom Leben willst, sondern was Leben von dir will. Und damit sind wir schon mittendrin.

Denn die Antworten, die ich vor einigen Monaten von 16 Krebspatienteninnen und Krebspatienten auf die Frage „Willst du eigentlich dein „altes“ Leben vor der Krebsdiagnose zurück?“

erhalten hatte, ließen mich nicht mehr los und waren der Auslöser für dieses Interview mit dem Frankl-Kenner Thomas Zimmermann.

Jede, jeder hatte diese Frage natürlich sehr unterschiedlich bewertet. Gemein war allerdings allen, dass sie den Weg angenommen und das Beste aus der Situation gemacht haben.

Die meisten erwähnen den Verlust der Unerschrockenheit und Leichtigkeit als etwas, das sie gerne zurückhätten.

Einige sind der Krankheit sogar dankbar, bezeichnen sie als Leitstern oder Kompass. Ein großer Teil hat endlich seine Passion gefunden und füllt diese nun mit Leben.

Erst im Nachhinein ist mir bewusst geworden, wie stark das Bedürfnis war, Antworten zu geben und zu zeigen, wie jeder seinen eigenen Weg gegangen ist. Dieses kleine Projekt hat einiges bei meinen „Interviewpartnern und -partnerinnen“ bewegt und auch bei mir weiterführende Gedanken ausgelöst.

Als ich mit meinen Freund Thomas Zimmermann – seit 30 Jahren Personalentwickler und Coach in Berlin – das Ergebnis meiner kleinen Umfrage präsentierte, landeten wir schnell bei den Theorien von Viktor A. Frankl, der mir bis dato völlig unbekannt war.

Denn ich fragte mich, warum wir eigentlich gar nicht oder meist sehr spät merken, dass wir uns in unserem Leben verlaufen haben, etwas tun, was uns nicht entspricht, schlimmer noch, was uns sogar schadet.

Die Existenzanalyse und Logotherapie von Viktor A. Frankl hat Thomas Zimmermann sehr genau studiert und kann mir daher einiges aus der Sicht eines berühmten Psychologen des 20. Jahrhunderts erklären.

Meine Gedanken aufgreifend, stelle ich ihm gleich diese Einstiegsfrage:

Frage: Bin ich eigentlich in meinem Leben richtig?

Und da kann ich ihn kaum bremsen, es sprudelt aus ihm heraus und mein Gast formuliert gleich mal meine Einleitungsfrage um: „Bin ich in meinem richtigen Leben?“ Dennoch gibt er zu, dass auch meine Frage nach Frankl durchaus seine Berechtigung hat. Das von mir entwickelte Bild eines kratzigen (Lebens)Pullis zieht sich dann wie ein roter Faden durch unser Gespräch. Warum ziehen wir den immer wieder an?

Frage: Warum eigentlich Viktor A. Frankl? Was hat Thomas Zimmermann an diesem philosophischen Psychologen interessiert?

Die Lektüre von Stephan Covey „Die 7 Wege zur Effektivität“ (Der Link zum Buch, unten) haben ihn auf Frankls Fährte gebracht. Nach Frankl hat jeder im Leben die Wahl, ob er Täter oder Opfer sein will. Außerdem sind wir Menschen – anders als die Tiere in den Pawlowschen Versuchsanordnungen – den Reizen insofern nicht gleichermaßen instinktgesteuert ausgeliert, wir haben immer eine Wahl. Das bedeutet, wir haben zwar keinen Einfluss auf den Reiz, wohl aber auf die Reaktion.

Frage; Einblick in Frankls Zeit und Schaffen

Gelebt hat er von 1905 bis 1997 in Wien. Während Frankl in den USA und Russland sehr bekannt ist, sind seine Thesen in Deutschland und Österreich wenig verbreitet.

Er hat sich früh für Psychologie interessiert. (Kurz zum Hintergrund: Die Erste „Wiener Schule“ geht auf Sigmund Freud zurück. Die Zweite auf Alfred Adler mit der Individualpsychologie und die Dritte dann auf Viktor A. Frankl mit der Existenzanalyse (beeinflusst natürlich von den Existentialisten) und der Logotherapie.

Bereits als Schüler hatte sich Viktor mit der Psychologie beschäftigt und Sigmund Freud einen Aufsatz zugeschickt, der sogar in der „Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse“ erschien. Anders als seine Vorgänger schaute Frankl nicht nur auf das, was die Wissenschaft hergab, sondern war der Ansicht, dass es da noch mehr geben müsse.

Die Philosophen Heidegger und Nitzsche haben ihn stark geprägt.

Mit 24 Jahren machte er den Doktor in Medizin (Fachgebiet Neurologie) und wurde schnell Chefarzt in einer psychiatrischen Klinik, Schwerpunkt Depression und Suizidprävention.

1941 erhielt er, mit nun 36 Jahren, eine Einladung in die USA, die  er mit der Begründung ablehnte, sich um seine Eltern kümmern zu müssen. Die Frankls waren Juden und wurden wenige Zeit später (1942) ins Ghetto Theresienstadt verschleppt. Bis auf Viktor kamen alle Familienmitglieder in verschiedenen KZs um.

Kurz nach seiner Befreiung durch die Amerikaner schrieb er das Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“, das eine millionenfache Auflage erfuhr. In diesem Werk schreibt er unter anderem, dass seiner Beobachtung nach, alle Menschen im Ghetto, die ihren Lebenswillen verloren hatten, nur kurze Zeit später (innerhalb von nur drei bis vier Tagen) verstarben.

Frage: Was können Krebspatienten von Frankl lernen?

Da knüpfen wir noch mal an seine Theorie zur „Täter-Opfer-Entscheidung“ an. Frankl fordert jeden auf, etwas aus seinem Leben zu machen, es in die Hand zu nehmen. Er ist davon überzeugt, dass die psychische Einstellung einen wesentlichen Beitrag zum Krankheitsverlauf leistet und sich auch auf die Lebensqualität auswirkt.

Wir Menschen, so sagt er, stellen immer Anforderungen ans Leben, fragen: „Was will ich vom Leben?“ Seiner Ansicht nach sollte die Frage anders lauten, nämlich: „Was will das Leben von mir?“

Das Leben fordert uns zur Stellungnahme auf, so meint er. Also: wie gestalte ich das, was mir das Leben bringt?

Frage: Hätte Frankl die Frage: „Warum ich?“ verstanden?

Ja, das hätte er, entgegnet mir Thomas Zimmermann, da sie die Sinnsuche impliziert, also die Frage: „Was will mir das Leben damit sagen, was verlangt es von mir?“ Das wiederum bedeutet, dass die einzige Möglichkeit sich den Herausforderungen zu stellen, die Eigenverantwortung ist. Ein wesentlicher Schlüssel ist die Akzeptanz der Ist-Situation. Das ist nicht leicht und passiert auch nicht von Zauberhand, dennoch ist es aus seiner Sicht die einzige Option.

Daher ist es Frankl auch so wichtig, die Grundsatzfrage umzudrehen in: „Was erwartet das Leben von mir?“ Wenn ich zu einer Entscheidung gekommen bin, gestalte ich, bin ich bei mir und übernehme die Verantwortung für mein Handeln.


Frage: Was hätte Frankl zu der Aussage „Ich hätte gerne mein altes Leben zurück“ gesagt?

Seine Gegenfrage wäre gewesen: „Was ist der Sinn, warum stelle ich mir denn diese Frage?“

Schaut man zurück in sein altes Leben, so suggeriert dieser Blick Leichtigkeit, ich habe mich in meinem Leben ausgekannt, alles war mir vertraut, ich habe mich eingerichtet, was wiederum bedeutet, ich hatte Sicherheit. Also ist es die Sehnsucht nach Sicherheit, Geborgenheit und Gewissheit.

Das Leben, was nun vor mir liegt, ist ungewiss und das ist eben genau die Anforderung, die das Leben jetzt an mich stellt, und da muss ich jetzt neue Antworten geben.

Und nun sagt Frankl, diese vermeintliche Gewissheit haben wir im Leben nie, auch ohne Krebserkrankung. Neue Situationen zu akzeptieren, sie zuzulassen, sich einzulassen, ist essentiell. 

Und noch ein schöner Satz aus unserem Gespräch: Eine gute Selbsteinschätzung, die sich aus zurückliegenden Erlebnissen speist, kann eine Gewissheit nähren, neue Herausforderungen meistern zu können.

Eventuell habe ich jetzt sogar die „Chance“, etwas Besseres, Neues zu entwickeln.

Frage: Was sagst du Patienten, die eine schlechte Prognose haben?  Kann man in dieser Ausgangslage auch eine neue Qualität finden? Oder ist das zu viel verlangt?

Die Kernfrage ist, so sagt Thomas Zimmermann: Was ist die Alternative? Anmerkung: ich empfehle hier seinen Ausführungen auf der Tonspur zu folgen.

Frage: Warum verlaufen wir uns denn sehenden Auges in unserem Leben und halten daran auch noch fest?

„Schuld“ daran sind Prägungen (durch Eltern, Lehrer, Freunde, Mitschüler, Kollegen, etc.), unser Rollenverständnis und unsere Erfahrungen. Wir wissen, was, wie ankommt, und dann richten wir uns darin ein. Irgendwann kommt eine Stelle, wo das Unwohlsein so stark wird, dass wir somatisch reagieren oder ein Burnout bekommen. Wir spüren eine Dissonanz, erst einmal ganz diffus „Da stimmt etwas nicht.“ Die Schlüsse daraus zu ziehen und den eingeschlagenen Weg zu ändern, erfordert sehr viel Mut. Wenn wir nicht dazu gezwungen werden, passiert das eben nicht so schnell.

Die Fortsetzung des Gespräches beginne ich logischerweise mit folgender Frage: „Wie kann ich herausfinden, was mir in meinem Leben fehlt?“

Also am besten jetzt zum 2. Teil unseres Gespräches wechseln. Bis gleich.

Hier die Tonspur des ersten Teils von „Alles auf Neuanfang?“: #Folge 7 / Episode 10 – Alles auf Neuanfang? – Wenn der Krebs dein Leben auf den Kopf stellt – Teil 1 – Zellenkarussell

Hier geht es zum 2. Teil: #Folge 7 / Episode 11 – Alles auf Neuanfang? – Wenn der Krebs dein Leben auf den Kopf stellt – Teil 2 – Zellenkarussell

Shownotes und Leseempfehlungen:

Thomas Zimmermann findest du hier: Home – Zimmermann-Existenzanalyse und hier:Home – Synthesis (synthesis-berlin.com)

Hier geht es zum Blog-Beitrag: Willst du eigentlich dein „altes Leben“ vor der Krebsdiagnose zurück? Eine Frage, 16 Antworten. – Zellenkarussell

Stephan Covey „Die 7 Wege zur Effektivität“ Die 7 Wege zur Effektivität: Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg (Dein Erfolg) : Covey, Stephen R., Roethe, Angela, Bertheau, Nikolas, Proß-Gill, Ingrid: Amazon.de: Bücher

Viktor A. Frankl „Trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychiater erlebt das Konzentrationslager“ … trotzdem Ja zum Leben sagen – Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager : Viktor E. Frankl, Hans Weigel: Amazon.de: Bücher

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