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Selbstbestimmte Patienten haben größere Chancen gut durch die Krankheit zu kommen

Nellas Neuaufnahme:  2. Teil des Interviews mit Professor Pezzutto

„Die Medizin ist weit davon entfernt, alles zu verstehen.“

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Im ersten Teil des Interviews mit Professor Antonio Pezzutto haben wir ja schon einiges über das Überbringen von schlechten Nachrichten, die Immuntherapie, den Fortschritt der Forschung und die „Berliner Cowboys“ erfahren.

Im zweiten Teil wird es mehr um die Arzt-Patienten-Beziehung gehen, um die Sache mit der Barrikade und nicht zuletzt um die Philosophie der Pfadfinder.

(Minute 2:15)

Frage: Was kann der Patient selbst beitragen? Was halten Sie vom „Selbstbestimmten Patienten“?

Vorweggenommen: sehr viel. Er ist der Überzeugung, dass der Patient, der weiß was auf ihn zukommt, die Therapie und deren Nebenwirkungen besser vertragen wird. Es könnte sogar umgekehrt so sein, dass der nicht gut informierte Patient eine erfolgversprechende Behandlung eventuell sogar aus Nichtwissen um bestimmte Reaktionen abbricht.

Diese aktive Patientengruppe sei auch resilienter, also widerstandsfähiger, als die, die alles über sich ergehen lässt. Auch in die Familie hinein spielt der Grad der Information eine große Rolle und gibt Antworten auf Fragen wie zum Beispiel die, was der Patient zu Hause nach der Entlassung tun kann.

“Die Medizin ist weit davon entfernt alles zu verstehen.“

Allerdings würde er nicht so weit gehen zu behaupten, dass die Heilung von der Psyche bestimmt wird. Dennoch: „Ein Patient, der kämpfen will, hat einfach bessere Chancen, die Therapie zu überstehen.“ Dazu kommt die Mobilisierung von anderen Kräften zum Beispiel die der Endorphine, die eine Heilung befördern können.

Es gibt eben auch manchmal unerwartete Verläufe, unerwartet gute Verläufe, deren Ursache man sich auch als Mediziner nicht immer erklären kann. “Die Medizin ist weit davon entfernt alles zu verstehen.“ Er glaubt daher durchaus auch an die selbstheilende Kraft von Patienten.

(Minute 5:02)

Frage: Was halten Sie von „Dr. Google“?

Diese Frage war ihm keine ausführliche Antwort wert. Der Blick sprach Bände ansonsten … Schweigen. Daher schnell zur nächsten Frage.

(Minute 5:15)

Frage: Wie sieht für Sie der „ideale Patient“ aus?

„Je mehr der Patient weiß, umso besser isses.“ Die Kommunikation ist leichter. Die Fragen im Hinblick auf die „Eigenleistung“ des Patienten, also was kann der Patient selbst tut, können besser diskutiert werden. Auch im Hinblick auf die Frage nach der verbleibenden Zeit.

Mit den Informationen kann ein Patient diese besser gestalten. Daher sei es besser, dem Patienten ehrlich zu sagen, dass eine Therapie sinnlos ist. Dazu gehört allerdings viel Mut. Aus seiner Sicht ist es ethisch nicht vertretbar, eine Therapie, die keinen Benefit (Vorteil) hat, trotzdem anzubieten, vor allem wenn sie im Grunde nur aus Nebenwirkungen besteht.

Der Patient muss immer zum Arzt kommen können

Natürlich sei ein Therapieangebot zu formulieren immer einfacher, auch um den Patienten in seiner Hilflosigkeit nicht allein zu lassen. „Aber es ist trotzdem falsch.“ Ein informierter Patient kann damit auch umgehen und das mit dem Arzt diskutieren.

Wenn dann tatsächlich die gemeinsame Entscheidung – auch zusammen mit dem Hausarzt – gegen eine Therapie gefällt wird, ist es von großer Bedeutung, dem Patienten ein Signal zu geben, dass er zu jeder Zeit auf den Arzt – auch auf den Chefarzt in einer Uniklinik wie er einer war – zukommen kann. Vor allem, wenn man schon einen längeren Weg zusammen gegangen ist.

Informierte Patienten können damit umgehen

Das können Schmerzen sein oder die Belastung mit der Situation. Dieses Angebot nehmen informierte Patienten auch dankbar an. Gar nicht anfreunden kann er sich mit einem Zurückverweisen an den Hausarzt verbunden mit dem Hinweis „Wir können leider nichts mehr für Sie tun.“ Das gehe überhaupt nicht.

(Minute 8:40)

Frage: Was können Patienten tun, wenn die Kommunikation mit dem Arzt stockt, er ihnen nicht richtig zuhört?

Manchmal sei das durchaus auch der fehlenden Zeit geschuldet, meint er, um sich dann aber auch gleich zu relativieren und festzustellen, dass das kein Grund und schon gar keine Entschuldigung sein darf. Die Zeit sollten die Ärzte immer haben und natürlich ist sie eigentlich auch immer zu kurz.

Wichtige Rolle: die Psychoonkologen

Jeder Arzt ist dazu auch sehr anders, so wie jeder Patient auch anders ist und damit fällt auch die Kommunikation unterschiedlich aus. Im Klinikbetrieb sind dann oft die Psychoonkologen gefragt, deren Arbeit er grundsätzlich sowieso sehr schätzt, weil sie die Medizin auch viel humaner, besser und vermutlich sogar erfolgreicher mache. Sein Appell: Hier sollten mehr Gelder investiert werden, auch wenn das nicht sofort und sichtbar Erlöse bringe.

Nicht jeder hat denselben Zugang

Die Psychoonkologen können viel auffangen und sind in den Wochenbesprechung mit den Ärzten auch dabei. Manchmal ist es die „Große Visite“ selbst, die den Unterschied mache, denn wenn „die Ärzte den Patienten umzingeln“ ist eine gute Kommunikation schwierig.

Wenn das Gesprächsklima klemmt, ist es immer besser jemanden zu finden, der einen anderen Zugang zum Patienten hat. Das kann auch eine Schwester oder ein Pfleger sein, die nach der Visite noch mal mit dem Patienten spricht, besonders dann, wenn er angstvoll zurückgelassen wurde, weil die Visite weiter gehen musste.

Sich eigene Slots zu erobern und später noch mal auf einen Arzt zuzugehen, hält er auch für eine gute Strategie.

(Minute 13:23)

Frage: Wie gehen Sie mit der Gratwanderung zwischen Mut machen und – medizinisch – ehrlich sein um?

Der Vorteil in der Hämatologie ist, dass man häufig immer noch eine Therapiemöglichkeit hat, selbst wenn der Krebs schon sehr fortgeschritten ist. Oft kann man auch dann noch eine Heilung oder eine längere Remission erreichen. Das sei bei der Onkologie anders.

„Wenn eine Therapie versagt, kann ich dem Patienten nicht erzählen, dass alles gut ist.“

Für den Arzt sei es sehr schwierig, immer ausreichend Trost zu spenden. Eine Lösung dafür habe er nicht.

(Minute 15:02)

Frage:  Ich habe viele Mitpatientinnen erlebt, denen es vor der Visite erbärmlich ging, dann aber keine Rede mehr davon war, wenn die „Weißkittel“ den Raum betraten. Merken Sie das?

Das merkt man nicht immer, weil manche Patienten darin sehr gut sind, die Ärzte rotieren und der Chef, der nur einmal die Woche vorbeischaut, das nicht genau abschätzen kann. Daher ist der Draht zu den Schwestern und Pflegern sehr wichtig, die am besten mitkommen sollten.

Bei falschen, gut gelaufenen Visiten kann dann die Schwester eingreifen und die wahre Situation schildern. Leider sind genau diese immer häufiger nicht dabei, weil der Zeitdruck immens ist. Ein Umstand den er nicht begrüßt.

(Minute 16:51)

Frage: Sie haben in früheren Gesprächen öfter von den Erfahrungen auf der „anderen Seite der Barrikade“ gesprochen. Was meinen Sie damit und was genau ist die „Barrikade“ für Sie?

Was Patienten bewegt, kann man im Grunde nur verstehen, wenn man selbst erlebt hat, was es bedeutet, an Krebs zu erkranken, oder nahe Verwandte begleitet hat.

Für einen Arzt ist es normal, auf Ergebnisse zu warten: Weil sie sich meist um 30 Patienten gleichzeitig kümmern müssen, geben sie die Ergebnisse beispielweise einer histologischen Untersuchung nicht sofort weiter, sondern warten auf einen für sie günstigen Zeitpunkt. Sie haben keine Ahnung oder haben es einfach vergessen, was diese Wartezeiten für Patienten bedeuten, welchem Druck sie ausgesetzt sind. Am Ende dieser Wartezeit stehen manchmal Entscheidungen für „Daumen hoch“ oder „Daumen runter“.

Das Warten ist fürchterlich für Patienten

Dazu gehören unter anderem das Warten auf ein wichtiges Gespräch mit dem Arzt, auf einen CT-, MRT- oder PET-Befund. Auch wissen sie nicht, was es heißt, die Bluttransfusion am Bett zu sehen, der Arzt aber nicht kommt, um diese anzuschließen. Das ist fürchterlich für den Patienten.

Diese unterschiedlichen (Gefühls-)Fronten sind nicht gut.

„Ein Patient ist ein Mensch, der um Hilfe ruft“

Als ich ihm zustimme und sage, dass viele Verhaltensweise ja auch aus den eigenen Erfahrungen gespeist werden und sich deswegen manche Ärzte damit schwer tun, die Barrikade zu überspringen, entgegnet er mir überraschenderweise, dass selbst dann, wenn diese Erfahrung fehle, der Arzt um diese Situation wissen müsse. Das gehöre zum Arztsein dazu. Er ist der Meinung, das würde oft genug schlichtweg vergessen. Gerade als Chef- oder auch als Oberarzt sollte man aber unbedingt mit gutem Beispiel vorangehen.

Auf der anderen Seite befindet sich eben keine Nummer, sondern ein Mensch, der um Hilfe ruft. Das sollte man als Arzt immer im Kopf haben.

(Minute 21:45)

Frage: Gibt es denn Patientenbegegnungen, die Sie immer in Ihrem Herzen tragen werden, die sie besonders beflügelt haben, weiter zu machen?

Ja, die gäbe es durchaus. Es sei aber immer auch gefährlich Patienten, zu nahe kommen zu lassen, da es schwierig wird, eine kühle medizinische Entscheidung zu treffen. Aber das ist natürlich auch nicht zu verhindern im Leben eines Arztes. „Wir sind auch nicht immer perfekt.“ Er möchte es nicht missen.

(Minute 23:00)

Was hat Sie der Umgang mit Krebspatienten, mit der Krebserkrankung gelehrt? Was hat sich verändert?

Mit einem großen Grinsen sagt er mir, dass es ihm schwer fällt, Wehwehchen ernst zu nehmen, da er das immer auch mit dem Leid der Krebspatienten vergleicht. Gerade seine Frau und seine Mutter hätten sicher öfter darunter gelitten.

„99% der Menschen tun so, als ob sie 150 Jahre weiterleben würden.“

Insgesamt hat sich der Blick auf die Zeit verändert, auf die Zeit, die bleibt. Dieses Thema hat ihn so stark beschäftig, dass er daraus zusammen mit Philosophen aus Berlin ein Buch machen wollte. Was kann man von Krebspatienten im Umgang mit der verbleibenden Zeit lernen? Wie strukturiert und gestaltet man sie? Die Gesellschaft ignoriere die Tatsache Zeit. „99% der Menschen tun so, als ob sie 150 Jahre weiterleben würden.“

Die Zeit definiert, wo ich meine Prioritäten setze.

Das Projekt war eigentlich auch sehr fortgeschritten, Patientenbefragungen waren angedacht, eine Kollegin war sehr interessiert, daran mitzuwirken, leider ist nichts daraus geworden. Für ihn es eine vertane Chance, weil er davon sicher auch inhaltlich profitiert hätte.

Als hätte man eine sichtbare Pestbeule

Viele Ärzte machten sich darüber Gedanken, gerade wenn sie in diesem Bereich tätig sind. Und dann kam er mit einem Aspekt um die Ecke, der mich wirklich überraschte, weil ich davon auch noch nie etwas gehört hatte. Das ist die hohe Selbstmordrate von Ärzten, die die Diagnose Krebs erhalten. Die Dunkelziffer sei aus seiner Einschätzung noch viel höher. Da saß ich doch etwas verdattert da. Das hatte ich nicht erwartet.

Die Gesellschaft sei eben auf Schönheit, Genuss und Erfolg getrimmt und alles was negativ besetzt ist, wird ignoriert. Die Diagnose Krebs sei ein Tabu und man würde behandelt, als hätte man eine sichtbare Pestbeule.

(Minute 27:54)

Kleiner Einschub – Meine Leseempfehlung: „Diese ganze Scheiße mit der Zeit“ von Hubertus Meyer Burkhard.

Diese ganze Scheiße mit der Zeit: Meine Entdeckung des Jetzt“ – von Hubertus Meyer-Burckhardt (Wenn ihr das Buch über diesen Affiliate-Link bestellt, erhalte ich von amazon eine kleine Provison ;-))

Von Hubertus Meyer-Burckhardt, Verlag: Gräfe und Unzer, 192 Seiten, ab ca. EUR 19. Die Krebserkrankung ist für den Autor eine wichtige Zäsur. Sie ist Katalysator für seine ohnehin schon vorhandene Auseinandersetzung mit dem Faktor Zeit, genauer gesagt der verbleibenden Lebenszeit. Das Buch hat viele autobiografische Züge, die stellenweise entkoppelt sind von seiner Erkrankung. Wirklich lesenswert und amüsant.

(Minute 28:25)

Frage: Erfahren Sie, wie es von Ihnen erfolgreich behandelten Patientinnen und Patienten später geht? Wollen Sie das überhaupt wissen?

Das interessiert ihn sehr und ist auch immer eine große Freude. Vor allem zu wissen, dass man nicht umsonst 40 Jahre gearbeitet hat. Das ist eine echte Motivation. Er bekommt auch manchmal Karten oder Urlaubsgrüße.

Alle die das nicht gemacht haben sollten müssen aber kein schlechtes Gewissen bekommen , denn ihm ist schon bewusst, dass viele auch mit diesem unliebsamen Kapitel abschließen möchten. Er wertet das keinesfalls als Undankbarkeit.

(Minute 29:37)

Und da war noch die Sache mit den Pfadfindern.

Den Punkt aus meiner Anmoderation wollte ich dann doch noch mal ansprechen, denn ich wusste, dass ihm das sehr am Herzen liegt, ihn geprägt hat.

Bei den Pfadfindern, waren zwei Dinge wichtig, sagt er mir.

  1. Denke immer an die anderen, bevor du an dich selbst denkst. Das Tempo der Gruppe beim Wandern richtet sich immer nach dem Schwächsten. Wenn dem einen der Rucksack zu schwer wird, übernimmt ein anderer.
  2. „Estote parati“ – lateinisch für „Sei bereit“. Das gilt für den Moment, in dem bereit bist, zu helfen, wenn du gebraucht wirst, aber auch dann, wenn das Leben sich verabschiedet, du abgerufen wirst. Jeder Pfadfinder weiß früh, dass dieser Augenblick kommen wird.

Das Bild vom Rucksack hatte es mir besonders angetan. Schön ist es doch, wenn wir das auf das Leben mit seinen Aufs und Abs übertragen würden. Der der gerade kann, übernimmt den Rucksack des Schwachen und darf ihn auch wieder zurückgeben, wenn der andere wieder Kraft gesammelt hat. Und dann darf sich der Träger selbstverständlich auch wieder ausruhen, dann ist er dran.

Zum Schluss …

… stand dann aber doch ein großes Dankeschön im Raum – das musste Herr Pezzutto einfach aushalten. Die Zeit war wie im Fluge vergangen und doch hatte er mir viel von seiner geschenkt. Das ist ja nicht unbedingt selbstverständlich und habe das Gespräch sehr genossen. Ich habe viel mitgenommen. Ich hoffe, ihr auch.

Auch euch, den Lesern und Zuhörern von „Nellas Neuaufnahme“, sage ich herzlich Danke. Eine wirklich schöne Premiere liegt hinter mir, hinter uns.

Ich blicke den nächsten Folgen mit großer Vorfreude entgegen und hoffe, ihr bleibt mir treu und schaltet wieder ein, schenkt mir einen Klick auf Play und eure Zeit, Eure Nella.

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2 Gedanken zu „Selbstbestimmte Patienten haben größere Chancen gut durch die Krankheit zu kommen

  1. Liebe Nella, das ist ein sehr wertvolles, besonders tiefgründiges Interview! Ich habe ja mittlerweile neun Jahre denselben Arzt, und sehe ihn alle vier Wochen. Aber in deinem Beitrag habe ich vieles, was so zwischen den Zeilen bei uns läuft, nun noch besser verstanden. Die Suizidrate bei erkrankten Ärzten stimmt mich sehr nachdenklich. Danke für deine Arbeit mit diesem. Beitrag!

    1. Herzlichen Dank, liebe Annette. Der Punkt, den du ansprichst, hat mich auch sehr erschreckt. Das hatte ich bisher überhaupt nicht auf dem Schirm. HG Nella

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